Im Tagesanzeiger vom 12. Mai 2014 wurde ein Interview mit Axel Weber, Verwaltungsratspräsident der UBS, abgedruckt. Darin sagt er auf die Frage, ob er sich nicht manchmal aufrege über Dinge, die Banker anrichten: „Ich neige nicht zu Emotionen, sondern arbeite definierte Programme diszipliniert ab.“
Über diese Arbeitsauffassung liesse sich streiten, aber das ist ein anderes Thema. Ein paar Sätze weiter sagt Axel Weber zum Umbau der UBS: „Was man da braucht, ist nicht Emotionalität, sondern einen klaren Verstand.“
Nun geht es mir nicht darum, Herrn Weber ans Schienbein zu treten. Ich habe keinen Grund, anzunehmen, dass er kein äusserst fähiger Mann ist, um das mal klarzustellen. Aber wo er es nun mal gesagt hat...nehme ich es als stellvertretenden Ausdruck für das sehr abgegrenzte Verhältnis vieler Manager zu Emotionalität – zumindest wenn man ihnen dabei zuhört, wie sie über Emotionalität sprechen.
Die gängigste Managermeinung lautet: Emotionen stören. Emotional gleich unprofessionell („nun lassen Sie uns mal nicht emotional werden...“). Klarer Verstand und Emotionalität werden dabei als einander entgegengesetzte, voneinander getrennte und sogar sich gegenseitig ausschliessende Begriffe verwendet, mit einer klaren Favorisierung: emotional schlecht - klarer Verstand gut. Damit einher geht die arithmetische Ansicht, man erhalte einen klaren Verstand, wenn man von einer Person die Emotionalität subtrahiert – was ich für einen fatalen und potentiell gefährlichen Fehlschluss halte.
Allein schon deshalb, weil sich Emotionalität gar nicht subtrahieren lässt. Entscheidungsprozesse sind erwiesenermassen in hohem Masse emotionale Prozesse – die Ratio schreibt zur gefällten Entscheidung noch den passenden Text. Machen Sie den Praxistest: wenn Sie sich selbst beim Entscheiden genau beobachten, werden Sie feststellen, dass Sie keine einzige Entscheidung treffen, wenn sie sich nicht richtig anfühlt, selbst wenn Sie vorher beliebig komplexe auf Fakten basierende Entscheidungsmatrixen zu Hilfe genommen haben: die Emotion hat das letzte Wort. Sie haben nur die Wahl, ob Sie Emotionen unbewusst oder bewusst einbeziehen wollen, und ich rate Ihnen dringend zu Letzterem.
Aus einer psychodynamischen Perspektive: Wir alle ziehen im Lauf unseres Heranwachsens in hoch emotionalen Situationen Schlussfolgerungen über die Welt und über andere Menschen. Einige dieser Schlussfolgerungen verdichten sich zu permanenten emotionalen Strukturen, die über Gebühr oft reaktiviert werden, selbst in Situationen, in denen sie nicht (mehr) die beste Wahl sind. Das bedeutet: wenn Sie sich selbst nicht gut kennen in dieser Beziehung, riskieren Sie, von solchen emotionalen Strukturen dominierte Entscheidungen zu treffen, die wenig hilfreich und sehr kurzfristig ausgerichtet sind – Sie werden von Emotionen vereinnahmt und verlieren sich in reflexhaften Stereotypen, anstatt auf die jeweils aktuelle Situation adäquat zu reagieren. Gegenüber einer solchen unverarbeiteten Emotionalität ist Skepsis im Management-Kontext durchaus angebracht, weil sie eine Quelle von Verzerrungen ist für Wahrnehmung, Beurteilung, Entscheidungsfindung und Verhalten. Das hat Axel Weber wohl auch gemeint.
Aussperren ist aber keine Lösung, erstens weil Emotionalität trotzdem wirkt, und zweitens, weil damit eine Fülle von potentiell vorhandenen Informationen verloren geht. In das berühmte Bauchgefühl fliessen nämlich auch sehr rationale Erfahrungen mit ein; wer auf Emotionalität verzichtet, verzichtet daher auch auf einen schönen Teil seiner verstandesmässigen Errungenschaften, die sich ins Sediment des Bauchgefühls abgesenkt haben.
Deshalb ist es essentiell, in Ausübung einer Führungstätigkeit, in der weise Entscheidungen gefragt sind, die eigene Emotionalität und deren Geschichte zu kennen. Leadership Coaching kann dabei helfen. Emotionalität zu unterdrücken, um ihre Risiken zu minimieren, ist brandgefährlich, denn dann bleibt man ungeübt im Umgang mit ihr und ist ihr, wenn sie durchbricht, ausgeliefert. Das Schlüsselwort lautet Integration: ich plädiere für eine integrierte Emotionalität. Wer diese Quelle von Information und von Orientierung erschliesst, kann aus einer Unmenge von verdichteten Informationen schöpfen - den klarsten Verstand erhält man, wenn man der Emotionalität ihren Raum gibt.
Interessanterweise benötigen Psychotherapeuten und Manager – in unterschiedlichen Kontexten - teilweise ähnliche Fähigkeiten, nämlich die, die eigenen emotionalen Reaktionen differenziert wahrnehmen zu können und dabei innerlich einen Schritt Abstand zu nehmen, um die reichen Informationen, die sie enthalten, nutzen zu können, ohne aus einem Zustand der emotionalen Überschwemmung heraus impulsiv zu reagieren. Dabei müssen sie unterscheiden können, welche emotionalen Informationen die aktuelle Situation betreffen und welche „bloss“ die eigenen biographisch bedingten Gewohnheiten. Psychotherapeuten lernen das professionell, Manager müssen sich selbst darum kümmern – ich kann es nur empfehlen.
Wenn Sie in einem Unternehmen Verantwortung übernehmen möchten, insbesondere auf den höchsten Führungsstufen, empfehle ich, sich mit Ihrer Emotionalität und ihrer Geschichte eingehend zu befassen. Es lohnt sich - Ihr Verstand wird klarer werden.