Leadership – Führung und echte Arbeit

In der Sonntagszeitung vom 11. November 2023 – ich gebe zu, das ist eine Weile her, aber irgendwie hat es mir keine Ruhe gelassen – erschien ein Artikel über die Mühen im mittleren Management, mit diversen Aussagen von Betroffenen. Wobei mit dem Wort „Betroffene“ die Probleme ja bereits beginnen. Das reiht ja dann einen Führungsjob ein in Begriffe wie Prostataprobleme, Verstopfung und Legasthenie. 

Zugegeben, „Betroffene“ kam im Artikel nicht vor, das habe ich jetzt...ich schweife ab. Egal, weiter: Zu lesen war da folgender Satz: „Wer seinen Job gerne macht, muss sich gut überlegen, ob er in die Führung will.“

Ich zitiere nur, selbstverständlich gehe ich davon aus, dass ein gut gemachter Job nicht zwingend auf einen männlichen Mitarbeitenden schliessen lässt...ich schweife schon wieder ab.

Der Betreffende (gut gerettet, oder?) äussert dann weiter, dass ihm für die juristische Arbeit, die er mit Herzblut mache, kaum noch Zeit bleibe. Was wiederum darauf schliessen lässt, dass er in seinem Job nicht glücklich ist – seinem neuen Job, um genau zu sein. Denn nichts anders ist es.

Die Abwägung, sich in eine Führungsposition zu begeben oder nicht, ist tatsächlich eine grosse Frage, weil es eben ein veritabler Jobwechsel ist und kein Anhängsel an die bisherige Tätigkeit. Schliesslich wird Führung ja nicht im gleichen Gespräch verteilt, in dem entschieden wird, wer die Kaffeetassen abwäscht und wer Druckerpapier nachfüllt, auch wenn es manchmal den Anschein macht, als sei das so gelaufen.

Wer das Gefühl hat, wegen seiner oder ihrer Führungsfunktion keine Zeit mehr zu haben für seinen oder ihren Job, hat sowohl den Job wie auch dessen Funktion grundlegend missverstanden.

Beim Übergang in eine Führungsposition geht es um nichts weniger als einen Wechsel der primären beruflichen Identität, behaupte ich mal radikal. Wenn ich befördert werde, ist mein Job nicht mehr Programmiererin, Juristin, oder Journalist; mein Job ist Führungskraft, mit einem Hintergrund unter anderem als Programmiererin, Juristin oder Journalist.

Der Mittelweg genügt auch nicht, obwohl er extrem sympathisch klingt: „I ch habe jetzt eine Führungs-funktion, aber im Herzen bin ich immer noch Journalist.“ Das Problem dabei ist das Wort „bin“. „Herz“ und „Journalist“ sind prima. Wollen Sie zu einem Arzt, der im Herzen immer noch Klempner ist?

Führung hat systemisch eine andere Funktion und nimmt eine andere Perspektive ein als Funktionen in der direkten Leistungserbringung für Kund:innen. Das muss in der Organisationsentwicklung berücksichtigt werden. Wer „im Herzen noch Journalist“ ist, wird, wenn es hart auf hart geht, die nötige ergänzende Perspektive vernachlässigen und vielleicht genau nicht die für das Ganze nötigen Entscheidungen treffen, und damit geht dem Unternehmen ausgerechnet dann eine nicht ersetzbare systemische Funktion verloren, wenn es eng wird und die Entscheidungen schwierig.

Natürlich ist es extrem wünschenswert, dass Führungskräfte ein grosses Herz haben für die Mitarbeitenden und deren Arbeit – please do! Aber die nötige gleichzeitige Distanz ist unabdingbar. Verschmelzen oder sich als „Vertriebenen“ betrachten ist systemisch ungesund. „Ich bin begeisterte Führungskraft und habe ein grosses Herz für Journalismus“ könnte besser funktionieren.

Sie merken, ich versuche hier, auf keiner Seite vom Seil zu fallen...das Gleichgewicht ist eben ein labiles, kein stabiles (wissen Sie noch, damals im Physikunterricht?). Also mal wieder keine Patentrezepte.

Aber eins soll definitiv betont sein: Führung ist ein echter und eigener Job. Wer eine Führungsfunktion hat, hat genug zu tun. Und: Führung ist gigantisch wertschöpfend, wenn sie denn gut getan wird. Also stecken Sie so viel Zeit rein wie möglich. 

Lohnt sich.

Gute Führung lässt Organisationen erblühen.zoom